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Reisebericht Bachforellen an Kharlovka und Litza auf der Kola Halbinsel, Juli 2019


Meine Familie kennt den Zustand nur zu gut: Diverse Paketzusteller stapeln die Sendungen von Outdoor-anbietern und Fliegenfischer-Versandhändlern in immer kürzeren Abständen vor der Haustür. Im Keller muss im Hobbyraum die Tür geschlossen gehalten werden, damit meine Frau aufgrund des Chaos keine akute Stimmungstrübung erfährt und fünf verschiedene Wetterdienstleister verzeichnen einen sprunghaften Anstieg der Clicks, weil nahezu stündlich die Prognosen Im Oblast Murmansk abgerufen werden…. Es ist wieder Sommer und die Saison hat auch in den Gewässern weit im Norden an Fahrt aufgenomme. Für mich als Bachforellenfanatiker naht der absolute Saisonhöhepunkt: Es geht um das Trophy Trout-Programm des ASR auf der Kola Halbinsel.

Im Jahr 2019 habe ich das Vergnügen zunächst eine Gruppe deutscher Fliegenfischer an die Pina und die Litza und direkt im Anschluss eine Gruppe aus der Schweiz an die Kharlovka zu begleiten. In beiden Gruppen fiebert eine ausgewogene Mischung aus Wiederholungs- und Ersttätern dem Abenteuer in der russischen Tundra entgegen und um es vorweg zu verraten, unsere kühnsten Vorstellungen sind nicht zu weit hergeholt gewesen: 

 

Woche 5C: Aufgrund der anhaltenden russischen Militärmanöver auf der Halbinsel wurde die ansonsten reibungslose Anreise in unserer Programmwoche 5C leicht modifiziert. Voll im Zeitplan ließ uns der mächtige MI8-Helikopter hoch auf einem Steilufer über der rauschenden Pina zurück.

 

 

Das Camp bot aber nicht nur grandiose Ausblicke auf den Fluss sondern war ein idealer Ausgangspunkt für unsere Tagestouren flussauf, flussab sowie an die benachbarte Litza (ca.50 Minuten Fußmarsch). Die Tundra ist entlang der Pina in der Vegetation weniger üppig als an den anderen nordischen Flüssen. Zudem ist das Areal von unzähligen Rentierpfaden durchzogen, so daß das Laufen selbst auf größeren Distanzen leichter fiel als von anderen Stellen gewohnt. Die Rentiere begegneten uns auch immer wieder. Teilweise näherten wir uns bei günstigen Wind bis auf wenige Meter. Mit ihren Bauen direkt neben und unter den Zelten hießen uns zahlreiche, vermeintliche putzige Lemminge ohne große Scheu willkommen. Die dunkle Seite dieser kleinen Nachbarn wurde uns allerdings schnell klar. Es begann noch harmlos damit, daß die Nager mit Heißhunger unsere Keks- und Waffelvorräte plünderten. Zeltwände oder geschlossenen Verpackungen hinderten sie dabei nicht im Geringsten. Nachdem die lokale Lemminggemeinde also zunächst das unmittelbare Bedürfnis auf Süssigkeiten gestillt hatte, folgten rasch tückischere Attacken auf uns Eindringlinge. Aus der Tatsache, daß die Tierchen systematisch eines meiner Merinoshirts, dann meine Wollmütze mit Goretex-membran und schließlich die Coatings von Christian`s und Uwes Fliegenleinen über Nacht zernagten und in Fetzen zurückließen war zu schlussfolgern, daß im Winter 2019/20 zumindest an der Pina die Lemminge vor allem Unbill der kalten Witterung gut geschützt sein werden.

 

 

Doch zurück zur Fischerei. Bei sehr gemischtem Wetter war unerwartet vor allem in den kalten und wolkenverhangenen ersten Tagen viel Insektenaufkommen (olive Eintagsfliegen, kleine helle Caddis und große Caddispuppenschlüpfe) zu beobachten und damit auch regelmäßige Oberflächenaktivität der großen Bachforellen zu verzeichnen. Aktive Fische nahmen in der Regel die in dead drift angebotene Superpupa bereitwillig. Fische bis 3,8 kg (Personal Best von Renée, der in dieser Woche der Bigfish-Held war!) wurden gefangen und zauberten zufriedene Gesichter im Camp. Spannender fast noch die Erzählungen vieler nervenaufreibender Drills, bei welchen die ausgebufften Flossenträger Sieger geblieben waren.

 

 

Unvergesslich bleibt für mich ein Tag an einem der ruhig fließenden Pools der Litza. Über Stunden waren Nico und ich mit beständig, head and tail steigenden, großen Forellen konfrontiert. Tatsächlich konnten wir auch einige der makellosen Fische zum Take überlisten und über den Kescher führen. Dennoch haben sich die Eindrücke einer Drillserie besonders tief in meine Erinnerung eingefressen: Tief watend und mit Präsentationen an meiner werferischen Distanzgrenze konnte ich drei gefühlt sehr kapitale Forellen haken aber habe sie alle nacheinander an Felsen, durch einen aufgebogenen Hakenbogen und den letzten Fisch durch einen akrobatischen Sprung mit nachfolgend beindruckend satten Aufklatschen auf dem Wasser verloren. Diese „offenen Rechnungen“ werden mich unweigerlich eines Tages an den Spot Dream Litza zurückbringen. Der Name ist Programm….

 

 

Ähnlich dürfte es Nico gehen, der eine sehr gute Forelle, welche zuvor wie ein Hecht an der Oberfläche geraubt hatte, nach komplizierten Drill bei der Landung zwischen den Steinen im nur handbreittiefen Wasser verlor. Nach meinem Eindruck sorgen insbesondere die Geschichten der verlorenen Fische beim vermeintlich glücklosen Fischer auch Wochen später noch für eine Gänsehaut. Insgesamt wurden in der Gruppe 57 Forellen über 1kg gefangen, 10 Fische wogen mehr als 3 kg. Gefischt wurde zu 80 % mit der Trockenfliege und nur phasenweise mit dann vorwiegend unbeschwerten Steamern.

 

 

Chef des Camps war Gena, welcher in gewohnt akribischer Weise uns alle umsorgt hat. Sein Service und sein Improvisationstalent umfassen dabei nicht nur die Zubereitung von Frühstück, Lunchpaket und Abendessen. Auch in fischereilicher Hinsicht kann jeder vom seinem reichen Erfahrungsschatz profitieren. Last but not least verliert jeder Starkregentag seinen Schrecken, wenn die Gruppenchemie stimmt und Gena einen weiteren Höhepunkt setzend zur Gitarre greift und ukrainische Volkslieder anstimmt.

 

 

 

Woche 6B:Gena begleitete mich auch in der zweiten Woche nach einem schlussendlich unproblematischen Gruppenwechsel. Unser neues Camp am Spot Wulf wurde am Ufer der Kharlovka errichtet. Insider wissen um den Charme dieses Ortes. Direkt neben der Bank aus großen Felsblöcken verengt sich die Kharlovka und formt so die“ Mutter aller V´s“.

 

 

Die immer wieder steigenden Forellen luden zu Würfen unmittelbar neben den Zelten ein. Schon am zweiten Tag gelang es mir eine offene Rechnung aus den Vorjahren zu begleichen. Zunächst hatte ich einen großen Fisch direkt vis a vis 10cm vor einem der zahlreichen Felsen auf der anderen Seite des Tails eine große Maifliegen „inhalieren“ gesehen. Nach einem Sprung in die zum Trocknen aufgehängte Wathose gelang es mir trotz der ungünstigen Strömungsverhältnisse meinem Maifliegenmuster mit ausreichender slackline genügend Zeit in einer perfekten drift zu verschaffen. Völlig ohne Argwohn nahm der zuvor gespottete Fisch die Fliege und war schlussendlich unterhalb der Stromschnelle zu keschern. Mit 4,5 kg einer von vielen weiteren Traumfischen, die wir in diesem Jahr überlisten konnten.

 

 

Wettermäßig hatte sich passenderweise mit Eintreffen der jungen Wilden aus dem Wallis die Situation beruhigt und der Sommer in der Tundra weitgehend durchgesetzt. Die Kleiderordnung wurde allerdings trotz des T-shirt-Wetters durch die hungrigen Moskitos bestimmt. Unsere Entscheidung auf ein Umsetzen des Camps zur Mitte der Woche zu verzichten und die komplette Zeit am Spot Wulf zu verbringen hat sich am Ende mehr als ausgezahlt. Die Fischerei mit der Trockenfliege war an diesem bekannten Hotspot in unseren Tagen so großartig, daß wir auch den Marsch zur flussaufwärts gelegenen Stelle Bigtrout nur an einem Tag auf uns genommen haben und uns ansonsten auf die zahlreichen Pooleinläufe und Tails auf der beidufrig zu befischenden, ca. 3 km langen Strecke Wulf beschränkt haben. Wir haben nahezu ausschließlich mit der Trockenfliege gefischt. Mit großem Abstand am erfolgreichsten war die Taktik große Caddis-Muster (zum Beispiel eine Goddard Sedge) oder aber Caddis imitierende Foam-Muster über die Oberfläche bewegt schlitternd und zitternd anzubieten. Die Forellen verfolgten die Fliegen teils langstreckig oder waren auch aus der Tiefe ohne zuvor erkennbare Oberflächenaktivität zu locken. Alternativ war auch die klassische Kola Methode mit Skatern (großen Attractorflies aus Foam) effektiv und konnten sporadisch auch große Eintagsfliegenmuster die Browntrouts verführen.

 

 

Die Bisse waren in typischer Weise majestätisch, ganz langsam, gefühlt wie in Zeitlupe (siehe auch die bekannten Videos im Netz). Insbesondere die „running sedge“ wurde aber auch immer wieder äußerst aggressiv genommen. Jeder aus der Gruppe machte Bekanntschaft mit dem Absturz aus himmelhoch jauchzendem Hochgefühlen unter den Adrenalinstößen des Drills in die tiefe Gefühlsleere, wenn der Widerstand am anderen Ende der Leine plötzlich nachlässt. Fluchten bis weit ins Backing waren an der Tagesordnung, aufgebogenen Haken und gesprengte Vorfächer (trotz teilweise 0,30 mm ) ebenso. Eine sehr erfolgreiche Strategie der mächtigen Gegner waren brutale Fluchten von dem Moment des Hakensetzens bis zum Verlust. Andere Kapitale setzen zu atemberaubende Serien von Sprüngen an oder behielten nach zielsicherem Ansteuern und nachfolgendem Festsetzen an den großen Steinverblockungen der Flusssohle die Oberhand…

 

 

Benjamin A. lieferte sich beim Fang der größten Browntrout von 4,8 kg einen Kampf mit allen Schikanen. Zwischenzeitlich hatte er nach einer verwegenen Jagd über die Stromschnellen mit üblen Flüchen schon alle Hoffnung aufgegeben, denn plötzlich hatte er den Kontakt zum Fisch verloren. Wenige Augenblicke später wandelte sich die Verzweiflung aber in Euphorie als beim Aufkurbeln der Leine der zwischenzeitlich auf ihn zugeschwommene  Fisch die Rute wieder zum Halbkreis bog und die Rolle aufkreischen ließ.

 

 

Viele ähnliche wilde Verfolgungen über Stock und Stein hinterließen blaue Flecke an unseren Schienenbeinen, Knien und Ellenbogen. Geflutete Wathosen sorgten für unverhoffte Abkühlung.

Im Laufe der Woche passten wir unsere Anbietetechnik den veränderten Bedingungen bei sinkendem Wasserstand und spitzer beissenden Fischen an. Mi t längeren Vorfächern und Driften bis tief in die „V`s“ waren wir aber unverändert erfolgreich, so daß die eigentlich für den letzten Tag aufgesparte Streamerfischerei gar nicht zum Einsatz kam. Insgesamt konnten wir in der Gruppe 95 Fische fangen. 11 Fische erreichten ein Gewicht von mehr als 4 kg. Nach dem Trophäenfisch von 4,8 kg wogen die nächsten beiden geschuppten Schönheiten jeweils 4,75 kg. Das Durchschnittsgewicht lag bei sagenhaften 2,69 kg !!!

 

 

Allen Großfischjägern aus unserer Gruppen ist klar, daß dieses Resultat einmalig und selbst an den Northern Rivern des ASR kaum zu wiederholen sein wird. Wir sind dem Team des ASR und Carsten von pukka destinations sehr dankbar für das Privileg eine solche Fischerei unter perfekten organisatorischen Bedingungen 2019 erlebt zu haben. Die Bachforellenfischerei des TrophyTrout-Programmes gehört zweifellos zu den Besten der Welt. Wie schon oft beschrieben sind allerdings körperliche Fitness und Anpassungsvermögen an das einfache Leben in der Tundra (zum Beispiel Wetterbedingungen, Mücken, fehlende Nachtabdunkelung, Camping usw.) notwendig. Der Einsatz in der Tundra testet zudem jedes Ausrüstungsteil auf Herz und Nieren. Wir hatten bei der Materialschlacht einige Ausfälle zu verkraften (Rutenbruch, Rollendefekt, Wathosen löchrig, Watstöcke gebrochen, Polbrillen gebrochen, Fliegenbox verloren usw. …). Improvisationstalent ist also von Vorteil. Ist man sich der Gesamtumstände bewusst, dann wird niemand eine Reise an dieses fischereiliche Traumziel bedauern.